Unternehmen beklagen ihn seit Jahren, Studien bestätigen ihn regelmäßig: Deutschland leidet unter einem wachsenden Mangel an Fachkräften, also Mitarbeitern, die einen Berufs- oder berufsqualifizierenden Abschluss besitzen, vom Gesellen oder Meister bis hin zu Absolventen der Fachhochschulen und Universitäten.
Dabei scheint der Mangeln bei den technischen Berufen (Techniker, Ingenieure, IT - Spezialisten) besonders groß. Der Charme der modernen, eher weichen Fachrichtungen wie Medien, Event und Kommunikation zieht ohnehin mehr junge Leute an, als die bodenständigen Techniker-, Ingenieur- und IT-Ausbildungen.
Dem Mangel wird mit der Nachqualifizierung von Arbeitskräften ohne Abschluss, der gezielten Weiterbildung für ältere Mitarbeiter und der Abkehr vom Jugendwahn angelsächsischer Personalphilosophien, mit der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bis hin zur Erleichterung der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland entgegengewirkt. Zudem soll das Hochschulstudium kürzer und der Zugang leichter werden.
Aber ist es der – quantitative – Mangel, den es zu lösen gilt?
Fachkräftemangel wird vielmehr zu einem qualitativen Problem, wenn Unternehmen zwar genügend Bewerber vorfinden, aber nur wenige geeignete. So beklagen viele Unternehmen jenseits fehlender grundlegender Fähigkeiten im Fach auch fehlenden Willen, Motivation und die Fähigkeit, über den Tellerand hinauszuschauen, dem wiederum überzogenen Vorstellungen über eigenes Können und Leistungen gegenüber stehen – an der schieren Zahl von Bewerbern mangelt es dagegen vielfach nicht.
Ein Grund hierfür ist eine fatale Fehlentwicklung vielerorts in der Ausbildung in unsere Gesellschaft: Statt das Niveau der Ausbildung zu fördern und der Komplexität der Gesellschaft anzupassen sowie die unterschiedlichen Ansprüche der Bildungsangebote nacjvollziehbar zu differenzieren, wird das Land mit in ihrer Qualität nicht mehr unterscheidbaren Abschlüssen und Titeln überschüttet, jegliches Bemühen um mehr Wissen sogleich ambitioniert tituliert (fast alles ist heute ein Studium) und Voraussetzungen zur Berufsausübung, z. B. den Meisterabschluss im Handwerk, fallen gelassen. So werden zwar faktisch mehr so bezeichnete Fachkräfte produziert, die Qualität dieser aber nicht gefördert und Differenzen sichtbar ge- macht.
Ein gutes Beispiel ist da das Hochschulwesen. Denn mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen sollten mehr Hochschulabsolventen „produziert“ und ein schnelleres Studieren, geringere Abbruchquote und mehr Praxisnähe erreicht werden. Nicht nur, dass sich diese Erwartungen bislang weitgehend nicht erfüllt haben, treten doch mit der Umstellung auch Zweifel an der Qualität der neuen Ausbildungsgänge auf. Absolventen kommen nun mit oft von phantasievollen Anglizismen ergänzten BA- und MA-Titeln auf den Markt, die sie bei Institutionen erworben haben, deren Rang und Herkunft kaum einzuschätzen sind. Auch verstecken sich dahinter vielfach Studiengänge, die nur eine Aneinanderreihung von Kursen ohne ein ganzheitliches Verständnis des Fachs bieten, und deren Inhalte von Dozenten vermittelt werden, deren Qualität darin besteht, dass sie sich mit Blick auf schöne Titel aus der Lehrtätigkeit als Pädagogen berufen fühlen.
Titel und Verpackung des Studiums ersetzen zu oft Inhalt und bodenständige, akademische und auch ganzheitliche Ausbildung. Aber Hochschule ist nicht gleich Hochschule, Bachelor ist nicht gleich Bachelor, Master ist nicht gleich Master. Und Abschlüsse, wie z. B. der Mas- ter of Acupressur oder der Diplom-Freizeitbetreuer wirken doch recht übertrieben, man braucht dazu auch kein Studium, wie auch die Fortbildung zur Bürofachkraft kaum als Studium bezeichnet werden sollte.
Gerade das Fehlen eines ganzheitlichen Denkens rächt sich später für die Unternehmen, wenn die Mitarbeiter im Studium nur Wissen statt Denkweise und das Abarbeiten und -haken von Einzelkursen statt grundsätzlichem Verständnis gelernt haben. Denn eine komplexere und interdisziplinäre Welt verlangt flexibel und breit denkende Mitarbeiter. In den USA ist man da- zu wieder voraus: Selbst die Bachelor-Studiengänge werden zunehmend zur „Education of the Mind“, während die Unternehmen es übernehmen, den Absolventen die unternehmensrelevanten, praxisspezifischen Inhalte zu vermitteln. Kombiniert mit der Pflicht zu umfassenden Praktika wäre dies auch in Deutschland sinnvoll, allerdings wird hier noch unter der Flagge einer wie auch immer zu definierende Praxisorientierung versucht, isolierte und kurzfristige Bedarfe einzelner Branchen in die Bachelor- und sogar Master-Ausbildung einzubauen.
Den Unternehmen sei daher geraten, auch in Zeiten des Fachkräftemangels jenseits vordergründiger Titel, Praxiskenntnisse und proklamierter Teamfähigkeit bzw. Motivation Wert auf eine ganzheitliche, das Denken und die Urteilsfähigkeit fördernde Ausbildung der Kandidaten zu legen. Denn Kandidaten, die sich an den so oft kritisierten Massenhochschulen durchgesetzt und organisiert haben, sind oft geeigneter, als diejenigen, die an teuren Privateinrichtungen einen vorgegebenen Stundenplan abgearbeitet haben.
Doch das ist vorab für die kleinen Unternehmen nur schwer zu erkennen, zu bewerten und zu differenzieren. Und somit wird diese Fehlentwicklung, das Fachkräfteproblem durch Quantität zu lösen, für die Unternehmen zum qualitativen Problem.
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Oliver Hofmann (Geschäftsführer).